Heute startet die Kampagne #einfachwohnen in Hamburg. Das Bündnis für eine neue, soziale Wohnungspolitik baute dafür am Jungfernstieg im Blickfeld des Rathauses ein öffentliches Wohnzimmer auf. Eine Protestaktion mit der der Zusammenschluss aus Diakonie, Caritas, Mieter helfen Mietern e.V. und STATTBAU jetzt Alarm schlägt. Die Zahl der Wohnungsnotfälle ist in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen: Im vergangenen Jahr konnten 11.768 Haushalte, obwohl sie einen Dringlichkeitsschein hatten, nicht mit einer Wohnung versorgt werden. 2015 waren es noch 7.857 Haushalte. Noch vor gut zehn Jahren erhielten jährlich zwischen 3.000 und 4.000 Haushalte keine Hilfe.
Mit der Kampagne #einfachwohnen treten das Bündnis, Sozialarbeiter und Menschen in Wohnungsnot in den kommenden Monaten bis zur Bürgerschaftswahl an die Öffentlichkeit, um Verbesserungen für die Betroffenen vom Senat einzufordern.
Das Problem ist bekannt: Es mangelt an günstigen Wohnungen. Aktuell gibt es in Hamburg noch rund 37.000 Wohnungen mit einer sogenannten WA-Bindung. Diese Wohnungen werden direkt durch die Wohnungsämter (WA) an die Betroffenen vergeben. Soweit die Theorie. Weil jedes Jahr mehr als 1.000 Wohnungen aus der Belegungsbindung fallen, gehen immer mehr Haushalte leer aus.
„Der Senat baut das Falsche“, kritisiert Diakonie-Chef und #einfachwohnen-Sprecher Dirk Ahrens. 34.837 Wohnungen wurden in den vergangenen vier Jahren in Hamburg fertiggestellt. Nur 40 dieser Wohneinheiten waren für vordringlich Wohnungssuchende vorgesehen. Diese Menschen sind arm, sie befinden sich in einer Notsituation und müssen deswegen Hilfe erhalten. „Menschen in Wohnungsnot vereint ein großer Wunsch: einfach wohnen“, sagt Dirk Ahrens. „Sie fordern nur das ein, was jeder andere Bürger dieser Stadt bereits hat: eine ganz normale Wohnung.“
Einer dieser sogenannten vordringlich Wohnungssuchenden ist Oliver. Jeden Morgen durchforstet der 33-Jährige das Internet auf der Suche nach Wohnungsangeboten. „Aber es gibt viel zu wenige Wohnungen, auf die ich mich überhaupt bewerben kann“, sagt Oliver.
Im Frühjahr wurde der Hamburger aus der Haft entlassen und lebt seitdem in einer Übergangswohnung eines sozialen Trägers. Oliver hat Arbeit, aber trotz intensiver Suche bislang keine Wohnung gefunden. „Die Fachstellen konnten mir nicht helfen“, sagt Oliver. Deswegen sucht er inzwischen auf dem freien Markt. „Aber die Vermieter nehmen diejenigen, die mehr Geld haben oder deren Eltern bürgen können.“ Für Oliver enden alle Wohnungsbesichtigungen mit einer Absage. „Weil Bauen allein nicht ausreicht, müssen jetzt 5.000 Wohnungen pro Jahr für Wohnungsnotfälle aus dem Bestand zur Verfügung gestellt werden“, fordert Dirk Ahrens. Die nötigen Hebel dazu liegen in der Hand des Senats: Er muss seine stadteigenen Betriebe wie etwa die SAGA in die Pflicht nehmen. Bislang stellt das Unternehmen etwas mehr als 2.000 der jährlich etwa 7.500 Neuvermietungen für Wohnungslose und vordringlich Wohnungssuchende bereit. Steigerungen wären problemlos möglich. „Zudem dürfen Sozialwohnungen nur noch an Bedürftige vermietet werden“, sagt Tobias Behrens von STATTBAU Hamburg. Mehr als 500 Wohnungen pro Jahr würden im Rahmen der normalen Fluktuation (6-7 %) für anerkannt vordringlich Wohnungssuchende frei, wenn der Senat die sogenannten Freistellungsgebiete aufheben würde. In Freistellungsgebieten dürfen Sozialwohnungen an Haushalte vermietet werden, die die Einkommensgrenzen überschreiten.
Das Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik unterbreitet darüber hinaus langfristige Vorschläge, um der Wohnungsnot zu begegnen: Bei Neubauten sollte der Drittelmix durch eine 50-Prozent-Quote ersetzt werden, damit mehr Sozialwohnungen entstehen. Jede zweite neugebaute Sozialwohnung sollte darüber hinaus für vordringlich Wohnungssuchende bereitstehen.
Die Aktion am Jungfernstieg bildete den Auftakt der Kampagne. Das Bündnis will in den kommenden Monaten mit verschiedenen Aktion in die Öffentlichkeit gehen und wirbt deswegen auch um Unterstützung der Hamburger Bevölkerung und weiterer Vereine und Initiativen, die sich für eine solidarische Stadt Hamburg einsetzen.
Weitere Informationen, den aktuellen Stand der Unterstützer und Termine der Kampagne finden Sie unter www.einfachwohnen-hamburg.de
Hintergrund:
Wer gilt als vordringlich Wohnungssuchend? Jugendliche, die an der Schwelle zum Erwachsenwerden aus dem Betreuten Wohnen ausziehen müssen. Rollstuhlfahrer, die ihre Wohnung im 4. Stock ohne Fahrstuhl aufgeben müssen oder Menschen mit anderen Beeinträchtigungen, die aus sozialen Einrichtungen heraus in eine eigene Wohnung ziehen können und wollen. Frauen, die vor ihren gewalttätigen Partnern in Frauenhäuser geflohen sind. Familien, die noch mal Kinder bekommen haben und deren Wohnung nun definitiv zu klein ist. Menschen, die in öffentlichen Unterkünften teilweise über Jahre „untergebracht“ sind, und natürlich auch diejenigen, die obdachlos auf der Straße leben.
Das Hamburger Bündnis für eine neue soziale Wohnungspolitik ist ein Zusammenschluss von STATTBAU Hamburg, Mieter helfen Mietern e.V., Caritasverband für Hamburg und des Diakonischen Werkes Hamburg. Es wurde im Frühjahr 2016 gegründet. Kurz zuvor hatte der Senat ein „Gesamtkonzept zur Verbesserung der Versorgung anerkannt vordringlich Wohnungssuchender“ vorgelegt. Das Bündnis kritisiert, dass die darin vorgesehenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken und vordringlich Wohnungssuchenden ausreichend Hilfe zu bieten.
Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:
Timo Spiewak
Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V.
Danziger Straße 66
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Telefon 040/280 140-150 / Fax -399
Mobil 0152/092 967 34