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Warum ein Sexkaufverbot Sexarbeitende nicht vor Gewalt schützen kann

 
Stellungnahme der Diakonie Hamburg anlässlich des
Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen, 25.11.2019

 

Anlässlich aktueller Forderungen von Abgeordneten von SPD und CDU positioniert sich die Diakonie Hamburg klar gegen die Einführung eines Sexkaufverbots in Deutschland. Was dem Schutz vor Gewalt dienen soll, hat aus Sicht der Diakonie Hamburg den gegenteiligen Effekt: Es führt dazu, dass gerade die verletzlichsten Gruppen in der Sexarbeit Gefahr laufen, Opfer von Gewalt und Ausbeutung zu werden. 

Rechtliche Situation in Deutschland

Sexarbeit ist in Deutschland seit vielen Jahren legal und durch Gesetze reguliert. Seit 2002 regelt das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) unter anderem, dass Sexarbeitende ihren Lohn einklagen können. Am 01.07.2017 trat das Gesetz zum Schutz der in der Prostitution tätigen Personen(ProstSchG) in Kraft, das den Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel zum Ziel hat. Es beinhaltet sowohl Beratungspflichten für die Menschen in der Prostitution selbst, als auch Pflichten für Betreibende von Prostitutionsstätten. (Stellungnahme der Diakonie zum ProstSchG)

Aktuell werden zunehmend politische Stimmen laut, die das ProstSchG lange vor der geplanten Evaluation des Gesetzes für gescheitert erklären. Stattdessen wird die Einführung eines Sexkaufverbots (auch schwedisches/ nordisches Modell) gefordert. Im Kern meint Sexkaufverbot: Freier werden bestraft, Sexarbeitende nicht. Diese Regelungen sind u.a. in Schweden und Frankreich bereits Realität. Im Bundestag wird das Thema seit Oktober 2019 im interfraktionellen Arbeitskreis „Prostitution – wohin?“ thematisiert.

In der politischen Diskussion werden zum einen die Begriffe Prostitution, Zwangsprostitution und Menschenhandel vermischt oder gleichgesetzt. Armutsprostitution wird nicht selten als Zwangsprostitution bezeichnet.  Zum anderen wird suggeriert, dass Gewalt und Ausbeutung im Zusammenhang mit Prostitution bisher nicht verboten und geahndet werden und es auch deswegen der Einführung des Sexkaufverbots bedarf. Hier ist auf eine genaue begriffliche Trennung zwischen Sexarbeit und Menschenhandel zu achten: Nach dem ProstSchG ist Prostitution das freiwillige Erbringen von sexuellen Dienstleistung gegen Entgelt. Menschenhandel und Zwangsprostitution hingegen stellen schwere Menschenrechtsverletzungen dar,  auf die in Deutschland hohe Haftstrafen stehen [1]. Kunden, die wissentlich eine Zwangslage von Menschen in der Prostitution ausnutzen, machen sich ebenfalls nach geltendem Gesetz strafbar [2].

Auswirkungen von Kriminalisierung: Erfahrungen der Diakonie Hamburg

Die Diakonie in Hamburg bietet seit über 45 Jahren Beratung für Frauen in der Prostitution an. In der Fachberatungsstelle Prostitution mit den Standorten Sperrgebiet St. Georg und Sperrgebiet St. Pauli erreicht sie mit ihrem Angeboten Frauen in sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Sexarbeit. In Hamburg St. Georg arbeiten die Sozialpädagoginnen der Diakonie im Schwerpunkt mit Frauen, die auf dem Straßenstrich arbeiten. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Deren Arbeits- und Lebensbedingungen sind geprägt von Armut, fehlender medizinischer Versorgung, fehlendem Zugang zum Rechts-, Leistungs- und Hilfesystem in Deutschland. Mit der Sexarbeit versorgen sie sich selbst sowie oftmals auch ihre Familien.

In St. Georg beobachten die Mitarbeiterinnen der Diakonie seit vielen Jahren auch, welche Folgen restriktive Gesetze und Kriminalisierung von Sexarbeit auf diese prekär arbeitenden Gruppen haben. Durch die geltende Sperrgebietsverordnung und die seit 2012 eingeführte Kontaktverbotsverordnung ist Prostitution in diesem Stadtteil ordnungswidrig, und sowohl die Sexarbeitenden als auch die Kunden müssen hohe Geldbußen zahlen, wenn sie sexuelle Dienstleistungen erbringen bzw. erwerben wollen und die Polizei sie dabei aufgreift.

Dies hat aus Sicht der Diakonie Hamburg nicht – wie von der Politik erhofft - zu einer Reduktion der Sexarbeit im Stadtteil geführt, sondern in erster Linie zu noch risikoreicheren Arbeitsbedingungen für die dort tätigen Sexarbeitenden:  Die Bestrafung der Kunden führte nicht zu einem Wegbleiben der Kundschaft, sondern zu einer Verschiebung der Kundenstruktur: Seit 2012 kommen eher Kunden, die durch das Verbot bzw. eine Ordnungswidrigkeit nicht abgeschreckt sind, während diejenigen Freier weniger geworden sind, die die Sexarbeitenden fair und respektvoll behandeln. Durch die Belegung mit Bußgeldern verschärft sich zudem die Armut der Frauen. Die durch Bußgelder entstandenen Schulden können nur durch weitere Sexarbeit abgearbeitet werden, was wiederum neue Bußgelder nach sich zieht. Durch die Sperrgebiets- und Kontaktverbotsverordnung muss die Anbahnung schnell vonstattengehen, um sich und den Kunden vor Bußgeldern zu schützen. Hierdurch kommt es häufiger zu Gewalt gegen Frauen sowie zur Verhandlung von niedrigen Preisen. Massive Kontrollen durch die Polizei führen dazu, dass Frauen die Polizei nicht in ihrer helfenden Funktion erleben können. Gewaltdelikte werden in der Folge selten angezeigt, das Misstrauen gegen Polizei und im Behörden im Allgemeinen steigt. Dieses Misstrauen erschwert z.T. auch die soziale Arbeit vor Ort. 

Effekte und Nebeneffekte eines Sexkaufverbots

Erfahrungen aus Ländern, die das Sexkaufverbot bereits eingeführt haben, zeigen, dass sich die negativen Konsequenzen, die in Hamburg mit den oben dargestellten restriktiven und kriminalisierenden Verordnungen gemacht werden, durch ein Sexkaufverbot noch verschärfen und potenzieren:

  • Es gibt keine eindeutigen Belege dafür, dass die Einführung eines Sexkaufverbots zu einem Rückgang von Prostitution und Menschenhandel führen. Eine 2015 von der schwedischen Regierung veröffentlichte Studie zeigt, dass sowohl die Anzahl der Sexarbeitenden als auch die Zahl der Kunden in den letzten 20 Jahren relativ konstant geblieben ist. Während die Straßenprostitution deutlich zurückgegangen ist [3], haben sich die Internetangebote für Escortservices u.ä. in den vergangen acht Jahren mehr als verdoppelt.[4] Daran wird deutlich, dass keine Reduktion der Sexarbeit an sich, sondern lediglich eine Verdrängung in den nicht öffentlichen und sichtbaren Raum stattgefunden hat.  

Es lassen sich jedoch unerwünschte Nebeneffekte des Gesetzes feststellen, die sich sowohl auf die Sexarbeitenden selbst als auch auf die Kunden und die Soziale Arbeit mit Sexarbeitenden beziehen:

  • In Ländern, in denen das Sexkaufverbot bereits gilt, berichten Sexarbeitende von vermehrten Stigmatisierungs- und Ausgrenzungserfahrungen aufgrund ihrer Tätigkeit, sowie massiven Beschneidungen ihrer Rechte, z.B. den Verlust des Sorgerechts aufgrund ihrer Tätigkeit.[5] Stigmatisierungs- und Ausgrenzungserfahrungen führen dazu, dass sich Sexarbeitende nicht mehr an öffentliche Stellen wie die Polizei oder Beratungsstellen wenden, wenn sie beispielsweise Opfer von Gewalt werden.
  • Schweden kriminalisiert im Zuge des Sexkaufverbots auch den Profit durch Einnahmen zur Ermöglichung der Tätigkeit:  Dies betrifft z.B. Vermieterinnen und Vermieter, die durch Mieteinnahmen profitieren, Babysitter, die die Kinder von Sexarbeitenden hüten, damit diese arbeiten können, aber auch die Hilfe von Sexarbeitenden untereinander.  
  • Durch die Kriminalisierung ihrer Kunden müssen die Sexarbeitenden die Verhandlungen mit diesen verdeckt führen. Dies birgt große Gefahren, insbesondere für prekär arbeitende Menschen in der Sexarbeit: Zur Kontaktanbahnung sind sie meist auf Unterstützung durch Dritte angewiesen. Dadurch geraten sie leichter in Abhängigkeiten und Ausbeutungsverhältnisse oder werden Opfer von Gewalt. Ihr Zugang zu gesundheitlicher und sozialer Beratung sowie zur Justiz wird durch ein Sexkaufverbot erschwert. Zudem wird die Verhandlungsposition von Sexarbeitenden erschwert, da Kunden u.U. das Risiko, das sie selbst eingehen, nutzen, um Druck auf die Sexarbeitenden auszuüben: Sie verhandeln niedrige Preise oder Praktiken, die die Sexarbeitenden sonst vielleicht nicht angeboten hätten. Insbesondere Migrantinnen, drogengebrauchende Sexarbeitende und Trans-Sexarbeitende sind davon betroffen [6]. In diesem Kontext nehmen Sexarbeitende das schwedische Gesetz auch als „Klassengesetz“ wahr, da es diejenigen am härtesten trifft, die am meisten Unterstützung benötigen.[7]
  • Unerwünschte Nebeneffekte betreffen auch die Kunden: Sie verweigern nicht nur häufiger die Aussage in Fällen von Menschenhandel und im Kontext von Sexarbeit. Die Kunden sind auch selbst häufiger von Erpressungen, Diebstahl oder Stigmatisierung betroffen.[8]
  • Auch für die Soziale Arbeit hat die Einführung eines Sexkaufverbots weitreichende Konsequenzen: In der Sozialen Arbeit mit Menschen in der Sexarbeit hat sich international seit vielen Jahren der Ansatz der niedrigschwelligen, parteilichen, akzeptierenden und ergebnisoffenen Arbeit bewährt. Eine akzeptierende Haltung zur Sexarbeit ist schwer vereinbar mit einem Sexkaufverbot. In Schweden gibt es z.B. nur noch drei Beratungsstellen für die Zielgruppe. Keine von ihnen arbeitet mehr ergebnisoffen, sondern alle haben eine ausstiegsorientierte Ausrichtung. Notwendige Angebote, die sich an den tatsächlichen Problemlagen der Zielgruppen orientieren, entfallen.

 

Forderungen

Um Menschen in der Sexarbeit nachhaltig vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen und deren Lebensbedingungen zu verbessern fordert die Diakonie Hamburg:

Differenzierung statt Polarisierung

Die Begriffe „Prostitution“, „Zwangsprostitution“ und „Menschenhandel“ müssen in den politischen und öffentlichen Diskussionen konsequent getrennt und abgegrenzt werden. Die Vermischung der Begriffe begünstigt aktuell die ohnehin starke Stigmatisierung von Sexarbeitenden und verhindert einen differenzierten Blick darauf, was Menschen in der Sexarbeit schützt und welche Faktoren zu sicherem Arbeiten beitragen. 

Stigmatisierungen abbauen – Sexarbeit als Arbeit anerkennen

Sexarbeit ist gesellschaftliche Realität. Restriktive Gesetzgebungen tragen zu Marginalisierung und Stigmatisierung der Berufsgruppe bei und fördern feindliche Einstellungen gegenüber Sexarbeitende.

Die Diakonie Hamburg fordert eine sachliche Debatte zur Sexarbeit und stellt sich gegen eine grundsätzliche Viktimisierung von Sexarbeitenden. Entscheidungen zur Ausübung des Berufs sind vielfältig und in vielen Fällen selbstbestimmt. Die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit ist die Grundlage, um Stigmatisierungen abzubauen, den Blick auf die tatsächlichen Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden zu schärfen und Maßnahmen zu entwickeln, um diese zu verbessern.

Kriminalisierung verhindern

Kriminalisierung führt dazu, dass sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden verschlechtern. Die Diakonie Hamburg fordert daher die Abschaffung aller Maßnahmen (Sperrgebiete, Kontaktverbote, Bußgelder), die Sexarbeitende weiter kriminalisieren.

Soziale Arbeit ausbauen und Zugang zu sozialer Arbeit ermöglichen

Soziale Arbeit verfügt über wirksame Konzepte, um Menschen in der Sexarbeit bei Bedarf zu unterstützen. Die Diakonie Hamburg fordert deswegen den Ausbau von niedrigschwellig, akzeptierend und ergebnisoffen arbeitenden Fachberatungsstellen in Deutschland. Um- bzw. Ausstiegsprogramme sind mit finanziellen Mitteln auszustatten, die es auch Menschen ohne Sozialleistungsansprüche in Deutschland ermöglichen, sich zu qualifizieren und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

Zugang zu Gesundheitsversorgung sichern

Viele Menschen in der Sexarbeit haben keinen Zugang zu gesundheitlicher Beratung und medizinischer Versorgung, da sie nicht (mehr) krankenversichert sind. Durch den Eintritt in die Krankenversicherung entstehen oftmals hohe Schulden. Wir fordern deswegen, Sexarbeitende einen unbürokratischen Zugang zu niedrigschwelliger Gesundheitsberatung und medizinischer Versorgung und einen Zugang bzw. eine Rückkehr in die gesetzlichen Krankenkassen zu ermöglichen.

Partizipation umsetzen

Die Diakonie Hamburg fordert die konsequente Einbeziehung von Sexarbeitenden, deren Verbänden sowie Fachberatungsstellen/ Wohlfahrtsverbänden in künftige Gesetzgebungsprozesse und alle Belange, die die Verbesserung des Schutzes von Sexarbeitenden betreffen.

 

Für Rückfragen stehen Ihnen gerne zur Verfügung:

Dr. Korinna Heimann, Diakonisches Werk Hamburg, Fachbereichsleitung Migration und Frauensozialarbeit, Tel. 040 30620-219, Heimann@diakonie-hamburg.de

Anne Wieckhorst, Diakonisches Werk Hamburg, stellvertretende Einrichtungsleitung Fachberatungsstelle Prostitution, wieckhorst@diakonie-hamburg.de, Tel.  040 2480-20

Wiebke Dördrechter, Diakonisches Werk Hamburg, Referentin – Information und Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 040 30620-384

 

 

[1] §§ 232 ff StGB

[2] § 232a Abs. 6 StGb

[3] Vgl. Levy /Jakobsson (2014): Sweden’s abolitionist discourse and law: Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden’s sex workers. In: Criminology & Criminal Justice 14 (5), S. 593–607. DOI: 10.1177/1748895814528926.

[4] Vgl. Reinschmidt (2016): Prostitution in Europa zwischen Regulierung und Verbot Rechtslage und Auswirkungen im Vergleich. Arbeitspapier Nr. 13.

[5] Vgl. Dodillet/ Östergren (2012): Das schwedische Sexkaufverbot. Beanspruchte Erfolge und dokumentierte Effekte. In: Greif, Elisabeth (Hrsg.) SexWork(s) verbieten- erlauben- schützen? Linzer Schriften zur Frauenforschung (51), S. 67–110.

[6] Platt, L./ Grenfell, P./ Meiksin, R. et al. (2018): Associations between sex work laws and sex workers’ health: A systematic review and meta-analysis of quantitative and qualitative studies. In: PLoS Med. 2018 Dec; 15(12): e1002680.

[7] Dr. Susanne Dodillet, Universität Göteborg, im Vortrag „Nodisches Modell- Ein Erfolgsmodell?“ am 7.11.2019 in Berlin

[8] Ebd.

Dr. Korinna Heimann, Diakonie Hamburg

Dr. Korinna Heimann

Stellvertretende Geschäftsbereichsleitung Hilfswerk
Diakonisches Werk Hamburg
Königstraße 54
22767 Hamburg