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Man sieht die Kuppel des deutschen Bundestags mit deutscher Flagge davor.

Aktuelles:100 Tage Bundesregierung

Kein Konzept zur Zukunftssicherung des Sozialstaats
Datum:
14. Aug. 2025

Die Diakonie fordert von der Bundesregierung ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Zukunftssicherung des Sozialstaates. „Ohne gezielte Investitionen verliert der Sozialstaat weiter seine Leistungsfähigkeit“, warnt Elke Ronneberger, Bundesvorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, in ihrer 100-Tage-Bilanz der neuen Bundesregierung. „Das geht zu Lasten aller, die auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft angewiesen sind, um ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben zu führen.“
 
„Die notwendigen Reformen reichen von der Pflege und der Rente über Steuer- und Arbeitsmarktreformen bis hin zur Neuaufstellung des sozialen Wohnungsbaus“, sagt Ronneberger. „Wenn die Bundesregierung diese Herausforderungen nicht entschlossen angeht, riskiert sie einen Vertrauensverlust.“ Die Bearbeitung vieler dieser drängenden Probleme habe die Koalition in Expertenkommissionen verlagert – wer dort beteiligt werde und wann erste Ergebnisse vorlägen, sei bisher unklar. Die Diakonie Deutschland fordert hier mehr Transparenz und die Beteiligung der Freien Wohlfahrtspflege: „Die Bundesregierung sollte das Wissen der Wohlfahrtsverbände nutzen, denn sie sind diejenigen, die die Leistung erbringen und nah bei den Menschen sind“, erklärt Elke Ronneberger.

Gerade in Zeiten globaler Unsicherheiten und gesellschaftlicher Umbrüche brauche es einen starken, verlässlichen Sozialstaat: „Innere, äußere und soziale Sicherheit gehören untrennbar zusammen. Wer nur in Verteidigung und Brücken investiert, vernachlässigt das soziale Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts“, so Ronneberger weiter.

Besonders kritisch sieht die Diakonie die Investitionspolitik der Bundesregierung: Beim Investitionspaket wurde die gemeinnützige Wohlfahrtspflege – mit rund 2,3 Millionen Beschäftigten und mehr als 3 Millionen freiwillig Engagierten – übergangen. „Dabei ist sie mit den Kommunen das Rückgrat des Sozialstaates“, betont Ronneberger. Die Infrastruktur der Sozialwirtschaft sei in die Jahre gekommen – mehr als 100.000 Sozialimmobilien mit rund 48 Millionen Quadratmetern Dachfläche böten enormes Potenzial für eine klimaschonende Modernisierung. „Allein deren energetische Sanierung und Nutzung für Photovoltaik könnte die Emissionslast in Deutschland deutlich senken – das wäre echte sozial-ökologische Transformation“, so Ronneberger. Die angekündigte, aber nicht umgesetzte Entlastung von Bürger:innen durch eine Senkung der Stromsteuer erschwere den Umstieg auf klimafreundliche Wärmeerzeugung und E-Autos: „Dies ist eine vertane Chance und es schwächt das Vertrauen in die Politik.“

Auch in der Pflege sieht die Diakonie dringenden Handlungsbedarf: „Die Probleme in der Pflegeversicherung werden heute und morgen Millionen von Menschen zu spüren bekommen. Die Versicherten müssen wissen, welche Eigenanteile sie selbst zu tragen haben, wenn sie pflegebedürftig werden“, so Ronneberger. Deshalb setze sich die Diakonie für eine Pflegevollversicherung mit begrenzten Eigenanteilen für die Pflegebedürftigen ein.

Enttäuscht zeigt sich Ronneberger über den Kurs in der Migrationspolitik: „Statt auf Abschreckung zu setzen, sollte die Bundesregierung Deutschland als Einwanderungsland und Migration als Chance begreifen.“ Ohne gezielte Förderung von Migrant:innen – vor allem durch Bildung und Zugang zum Arbeitsmarkt jenseits des Niedriglohns – werde es noch schwerer, die sozialen Sicherungssysteme langfristig zu stabilisieren. „Zudem sind legale Fluchtwege ein Gebot der Menschlichkeit“, so Ronneberger mit Blick auf die Zurückweisungen an den Grenzen, die ausgesetzten Resettlement-Programme und den gestoppten Familiennachzug der subsidiär Schutzberechtigten.

Statt Menschen im Bürgergeldbezug pauschal zu diskreditieren, müsse die Bundesregierung in soziale Infrastruktur investieren: in chancengerechte Bildung, gute Betreuungsangebote für Kinder und Pflegebedürftige und passgenaue Unterstützung bei der Integration in Arbeit. „Armut ist keine individuelle Schwäche, sondern ein strukturelles Problem, das sich lösen lässt. Wer das nicht erkennt, schadet nicht nur den Betroffenen, sondern auch unserer Volkswirtschaft“, betont Ronneberger.

Besonders alarmierend sei die anhaltend hohe Kinderarmut in Deutschland: „Jedes siebte Kind ist armutsgefährdet – und das in einem der reichsten Länder der Welt“, kritisiert Ronneberger. Sie fordert eine grundlegende Reform der Familienleistungen: „Ein Antrag, ein Bescheid – das muss das Ziel sein. Komplexe Antragsverfahren dürfen nicht länger verhindern, dass Hilfe bei denen ankommt, die sie dringend brauchen.“