Lohndumping, Ausbeutung, Outsourcing. Immer wieder werden Diakonie-Einrichtungen von der Gewerkschaft Ver.di und den Medien für ihre Arbeitsbedingungen kritisiert. Jüngstes Beispiel ist die Kampagne gegen die Diakonissenanstalt „Alten Eichen“ Ende des vergangenen Jahres. Doch ist die Kritik berechtigt? Der Diakonie-Report stellt die Vorwürfe von Ver.di den Fakten der Diakonie gegenüber und zeigt den Spagat diakonischer Einrichtungen zwischen Wohlfahrt und Druck des freien Marktes.
Die Anschuldigungen wiegen schwer und werden sogar von der Staatsanwaltschaft Hamburg behandelt: Die Diakonie-Einrichtung „Alten Eichen“ soll durch Outsourcing Mitarbeitende ausgebeutet und damit Lohndumping betrieben haben. Mehr noch: Durch unrechtmäßige Zahlungen von Aufwandsentschädigungen für Minijobber soll die Diakonissenanstalt sogar Sozialbeiträge hinterzogen haben. Medien berichteten über Schwarzarbeit und Steuerbetrug bei der Diakonie und griffen gemeinsam mit der Gewerkschaft Ver.di die gesamte Diakonie an. Die Vorwürfe könnten den Ruf der Diakonie als Arbeitgeber nachhaltig schwer beschädigen. Passt das zum Selbstverständnis der Diakonie, das vor allem auf den Dienst am Menschen und Nächstenliebe baut?
Das Diakonische Werk Hamburg nahm die Vorwürfe sehr ernst und Landespastorin Annegrethe Stoltenberg forderte die Diakonissenanstalt „Alten Eichen“ unmittelbar nach Bekanntgabe der Anschuldigungen auf, diese umgehend aufzuklären. Nach Ansicht des Landesverbandes verstößt „Alten Eichen“ jedoch weder gegen das Kirchenarbeitsrecht noch gegen das Sozialgesetzbuch.
Vorstand Stefan Rehm erklärt: „Nach unserem juristischen Kenntnisstand gibt es keine Probleme.“ Trotzdem wurde schnell gehandelt und die Arbeitsbedingungen in „Alten Eichen“ vom Träger selbst auf den Prüfstand gestellt. So wurde die umstrittene Kombination von Minijobs und einer zusätzlichen Aufwandsentschädigung vollständig aufgegeben und kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe eingestellt. Denn für Diakonische Einrichtungen gelten nicht nur rechtliche Vorschriften, viel mehr müssen sie auch hohen moralischen Anforderungen gerecht werden.
Die Diakonie nimmt die aktuellen Bezichtigungen überaus ernst, denn die Vorwürfe der Medien und von Ver.di zielen in die gleiche Richtung: Wie vertrauenswürdig kann die Diakonie als Arbeitgeber sein, wenn Einrichtungen gegenüber ihren Mitarbeitenden grundlegende christliche Prinzipien missachten? Dass diakonische Einrichtungen als Arbeitgeber rechtlich einwandfrei handeln, muss selbstverständlich sein. Wie das aktuelle Beispiel zeigt, müssen die diakonischen Einrichtungen zusätzlich besonders moralische Aspekte überprüfen: Inwieweit kann und muss sich eine Einrichtung, die sich vor allem durch ein christliches Menschenverständnis von anderen Organisationen abgrenzt, den Gegebenheiten des Marktes anpassen? Und: Kann es sich die Diakonie erlauben, so zu handeln, oder verstößt sie damit gegen das eigene Leitbild der Nächstenliebe? Deshalb hat der Landesverband kurz nach Bekanntwerden der aktuellen Vorwürfe nach eingehender Prüfung neue, straffere Empfehlungen im Umgang mit Arbeitsverhältnissen an alle Mitgliedseinrichtungen versandt. „Uns ist bewusst, dass zum Beispiel praktisch jedes Krankenhaus heute aus Kostengründen die Wäscherei auslagern muss. Als Diakonie empfehlen wir allerdings unseren Einrichtungen dringend darauf zu achten, dass die beauftragten Firmen nach Tarif bezahlen“, so Stefan Rehm.
Neben den neuen Empfehlungen hat der Landesverband Hamburg Ende 2011 eine Umfrage initiiert, um Klarheit über die bestehenden Arbeitsverhältnisse der Hamburger Mitglieder zu erhalten. Demnach unterliegen 35,81 Prozent der erfassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Kirchlichen Tarifvertrag Diakonie (KTD), 17,08 Prozent dem Kirchlichen Arbeitnehmer Tarifvertrag (KAT) und 26,72 Prozent den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR). Bei 13,10 Prozent greift ein ähnliches Arbeitsrecht (z. B. TVL) und 7,29 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden nach dem Haustarif vergütet.
Die Beteiligungsquote der Umfrage liegt bei 74,8 Prozent. Diese Rücklaufquote repräsentiert also 16.727 der rund 18.000 diakonischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hamburg. Dabei wird vor allem eines deutlich: Mit 92,71 Prozent unterliegt die überwältigende Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landesverband Hamburg kirchlich-diakonischen Tarifen oder einem anderen Tarifrecht gleichen Inhalts.
Doch Ver.di gibt sich damit nicht zufrieden. Die Gewerkschaft fordert, dass anstatt die AVR nur der KAT und der KTD auf alle Betriebe der Hamburger Diakonie angewandt werden. Die AVR liegt nach Ansicht von Ver.di deutlich unter diesen Tarifverträgen und ist ein Zeichen dafür, dass die diakonischen Arbeitgeber die Gehälter drücken. Vorstand Rehm bestreitet diesen Vorwurf: „Die AVR Diakonisches Werk EKD sind ein genauso bewährtes Vertragssystem wie der KAT und der KTD. Die AVR sind keine Niedriglohn-Vereinbarungen, sondern vom Niveau her absolut vergleichbar. Wir halten alle drei Wege für gleichwertig und gangbar.“
Bei ihrer Forderung vernachlässigt Ver.di, dass kirchliche Einrichtungen, wie das Diakonische Werk, derzeit vor großen ökonomischen Herausforderungen stehen. Denn der klassische Wohlfahrtsstaat mit seinem Prinzip der Subsidiarität wird immer mehr durch den freien Markt und seine Gesetze ersetzt. Der Konkurrenzdruck nimmt dadurch massiv zu. Landespastorin Annegrethe Stoltenberg fasst die Problematik zusammen: „Unsere diakonischen Einrichtungen stehen unter einem immer größeren Kostendruck, seitdem – vor allem im Gesundheitswesen und in der Altenpflege – die soziale Arbeit in Deutschland zum „Sozialmarkt“ geworden ist. Eine Einrichtung muss deshalb laufend prüfen: Können wir diese Art der Pflege, diese Art der Bezahlung etc., mit unserem christlichen Anspruch vereinbaren oder nicht? Und was hat das für Konsequenzen?“
Während der Landesverband seinen Einrichtungen rät, künftig auf die Kombination von Minijobs und Aufwandsentschädigung zu verzichten, kann und will die Diakonie die von Ver.di kritisierte Leiharbeit jedoch nicht aufgeben. „Befristete Leiharbeit, um kurzfristige Arbeitsspitzen aufzufangen – die etwa durch Krankheit, Urlaub oder unvorhersehbare Bedarfe entstehen – hält das Diakonische Werk ausdrücklich für vertretbar, für sinnvoll und für notwendig, um die Pflegebedürftigen gut versorgen zu können“, sagt Annegrethe Stoltenberg.
Dabei handelt es sich – anders als von Ver.di geschildert – jedoch nicht um eine überwiegende Praxis. Die Auswertung der Umfrage zeigt, dass 75 der 106 Einrichtungen/Trägerverbünde keinen Gebrauch von Zeitarbeit machen. Werden Zeitarbeiter eingesetzt, liegt die Quote im Verhältnis zur Stammbelegschaft durchschnittlich bei unter viereinhalb Prozent.
Nach Auffassung von Stefan Rehm zielt die Kampagne von Ver.di deshalb in die falsche Richtung. „Bei uns geht es nicht um Profitmaximierung, wir arbeiten auf der Basis unseres christlichen Leitbildes für Menschen, die unsere Unterstützung brauchen. Tatsächlich sind die Hamburger Diakonie und die Caritas die einzigen Verbände, die noch flächendeckend nach Tarif oder tarifähnlichen Arbeitsverträgen bezahlen.“
Deshalb wünscht sich Rehm: „Unterstützung bei unserem Einsatz für eine tarifgerechte Refinanzierung in der Kranken- und Altenpflege. Ver.di sollte dazu ihren Einfluss in den Gremien der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger, das heißt der Kranken- und Pflegekassen, nutzen“. Aber auch die Politik ist gefragt, wenn es um die Rahmenbedingungen geht. „Eigentlich brauchen wir eine Tarifbindung bei der Vergabe von Aufträgen für soziale Dienstleistungen“, so der Diakonie-Vorstand. „Behörden, Pflege- und Krankenkassen müssen aber zumindest die tarifliche Bezahlung in den Vergütungen berücksichtigen. Jetzt werden die, die nach Tarif und damit besser bezahlen, gegenüber denen, die schlechtere Löhne zahlen, benachteiligt.
So haben wir die höheren Kosten und damit auch den höheren Preis. Die Vergütung muss die tarifgerechte Bezahlung refinanzieren“. Darüber hinaus fordert Rehm eine Anpassung des Mindestlohns in der Pflege an das Tarifniveau der Diakonie, das statt bei 8,50 Euro – dem aktuellen Mindestlohn in der Pflege – bei 9,89 Euro liegt.
Neben der Diakonie fordert auch die Hamburger Politik eine bessere staatliche Unterstützung der Einrichtungen. So denkt der Bürgerschaftsabgeordnete Ekkehard Wysocki (SPD) über eine Verschärfung der entsprechenden Gesetze nach, damit die Diakonie als Arbeitgeber gegenüber privatwirtschaftlichen Wettbewerbern keinen Nachteil erleidet.